Konzert: The New Pornographers
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 05.12.2014
Dauer: The New Pornographers 80 min, Mini Mansions gut 45 min
Zuschauer: ca. 300
Auf
Autofahrten höre ich meist Musik mit meinem alten iPod. Weil nicht nur
dessen Batterie sondern auch die Software oft spinnt, stürzt das Gerät
immer wieder ab. Nach dem Reset dauert es ein paar Minuten, bis er
wieder da ist. Musikalisch ist der Neubeginn immer gleich: I'm not talking von A.C. Newman. Vermutlich wäre das Stück mein meistgehörtes, wenn wenigstens das Weiterleiten an last.fm klappen würde.

Auch
ein anderes meiner besonders häufig in diesem Jahr gehörten Stücke hat
mit dem kanadischen Musiker zu tun. War on the east coast von den New
Pornographers, die Newman vor einigen Jahren mitbegründet hat, ist eines
der besten Lieder 2015 (auch wenn das Jahr ja lange noch nicht vorbei
ist). Geschrieben hat es allerdings nicht A.C. Newman, War on the east coast stammt von Dan Bejar
(Destroyer), einem der anderen zahlreichen (Indie-) (Super-) Stars bei
den New Pornographers. Das neben Destroyer vermutlich berühmteste
Mitglied ist Neko Case, die auf Platten und dem
nordamerikanischen Kontinent regelmäßig mitsingt, Europa-Touren der New
Pronographers aber meidet. An ihrer Stelle übernimmt Carl Newmans Nichte
Kathryn Calder (Immaculate Machine) alle weiblichen Gesangparts.

"Wer und wie viele?"
ist also immer die typische Frage vor einem Auftritt der Kanadier. Beim
ersten Konzert der New Pornos im Gebäude 9 seit 2007* standen sieben
Musiker auf der Bühne. Kathryn Calder, Dan Bejar und Carl Newman, Bassist John Collins (der u.a. mehrere Tegan and Sara Platten produziert hat und bei Destroyer mitspielt), ein Schlagzeuger, ein Keyboarder und ein weiterer (vierter? fünfter?) Gitarrist.
Als die sieben um 21:40 Uhr begannen, hatten wir schon ein gut 45 minütiges Support-Programm der Band Mini Mansions aus Los Angeles erduldet. Mini Mansions
fielen durch drei Dinge auf: 1) Kreuzfahrt-Entertainer-Outfits (der
singende Schlagzeuger trug einen weißen Anzug, der Bassist einen roten -
2) eine unverschämt scheußliche Version des Blondie Evergreens Heart of glass
und - 3) eine bescheidene, mannhohe Leuchtreklame mit dem Bandnamen,
bei der ich mich gefragt habe, was die Fluggesellschaft wohl dafür
verlangt hat, das Ding einmal um den Globus zu verschiffen.
Musikalisch
war es enorm beliebig bzw. bis auf ein Lied sogar ziemlich mies. Daß
der trommelnde Sänger normalerweise der Bassist der Queens Of The Stone
Age ist, änderte daran nichts.
An
Stelle der Deko setzte die Hauptgruppe dann Hits, das klügere Konzept,
wie ich finde. Die Setlist des fast anderthalbstündigen Konzerts war
eine souveräne Mischung einiger neuer Stücke und der Hits aller
Vorgängerplatten. So macht man das eben in einer Supergroup.
Dan
Bejar war höchstens bei jedem zweiten Lied auf der Bühne. Hatte er
nichts zu tun, ging er nach hinten und rauchte. Es roch in jeder
Destroyer-Pause nach Qualm.
Live sind die New Pornographers sehr viel rockiger als auf Platte. Erst wollte ich "lauter" schreiben, das machte aber keinen rechten Sinn. Also war auch im Gebäude 9 nichts vom "Hausfrauen-Rock"
zu hören, als den mein Konzertnachbar die Musik der Band vorher
bezeichnet hatte. Auch die etwas schwächeren Stücke der neuen Platte
gefielen mir so deutlich besser als aus dem neurotischen iPod.

Es
war ein wirklich gutes Konzert. Beim Basket- und Football benutzen
amerikanische Sportreporter gerne den Begriff Go-to-guy für einen
Spieler, der immer als sichere Anspielstation des Quarterbacks oder
Aufbauspielers erreichbar ist, den der also auch in großer Bedrängnis
immer erreicht. Das sieht dann nicht so spektakulär aus wie ein 60 m
Pass, bringt aber sicheren Erfolg. Die New Pornographers sind eine
meiner Go-to-Bands. Man darf da keine Bühnenshow (oder Leuchtreklame)
und kein Publikum, das nur beim neuesten heißen Scheiß erscheint,
erwarten, man bekommt aber sicher ein sehr gutes Konzert geboten!
Setlist The New Pornographers, Gebäude 9, Köln:
01: Brill bruisers
02: Myriad harbour
03: Moves
04: Dancehall domine
05: War on the east coast
06: Use it
07: All the old showstoppers
08: Jackie, dressed in cobras
09: Another drug deal of the heart
10: The laws have changed
11: Fantasy fools
12: Testament to youth in verse
13: Sweet talk, sweet talk
14: Backstairs
15: Silver Jenny Dollar
16: Champions of red wine
17: Born with a sound
18: Mass romantic
19: Ballad of a comeback kid (Z)
20: Sing me Spanish techno (Z)
21: The bleeding heart show (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- The New Pornographers, Barcelona, 28.05.10
- The New Pornographers, Köln, 25.11.07
- The New Pornographers, Paris, 30.09.07
Konzert: Esben and the Witch (& coctail twins)
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 19.10.2014
Dauer: Esben and the Witch 65 min, coctail twins 33 min
Zuschauer: 140
Vor anderthalb Jahren spielten Esben and the Witch
zum letzten Mal im Gebäude 9. Einige Freunde von mir waren da und
schwärmten hinterher vom düsteren Auftritt der Briten. Ich hatte die
Band zwar 2011 schon einmal im Gebäude gesehen, da hatten sie mich aber
noch nicht richtig überzeugt. Trotzdem hatte mir mein Bauchgefühl im
vergangenen Winter gesagt, ich solle gefälligst zu Esben and the Witch
gehen, dummerweise hatte ich dies aber ignoriert und mich stattdessen
für alt-j im E-Werk entschieden. Spätestens als ich im Mai 2013 Esben
and the Witch in Luxemburg gesehen habe, war mir dieser Fehler bewußt.
Also
war das Ticket für dieses Mal schnell gekauft. Daß dies eine gute
Entscheidung war, war nicht erst am Abend selbst klar. Denn einige Tage
vorher wurden die wundervollen coctail twins aus Köln als Support bekanntgegeben, ein "Doublefeature" nach meinem Geschmack!

Die coctail twins
sind eine neue Band von Leuten mit Musik-Erfahrung. Daß es durchaus
sinnvoll sein kann, nicht schon als Teenager seine Band zu gründen,
zeigen die ausgefeilten Songs der Kölner. Sometimes the waves oder Rooms made of dust oder auch Waiting for the birds (Dreamed)
sind große Knüller, die mich bei meinen beiden ersten Konzerten der
coctail twins in diesem Jahr schon begeistert hatten. Aber eben auch das
(offenbar neue) Stück Western horizon, bei dem Bassist Mike auf einer Pauke trommelte, war irre gut. Ich vermute, daß es auf der am 21.11. erscheinenden zweiten EP (Below Zero)
veröffentlicht werden wird. Also auch der Nachschub taugt enorm viel!
Als Außenstehender kann man ja nie einschätzen, wie lange die ersten
Songs einer neuen Band gereift sind. Die echte Hürde sind dann die
Stücke, die danach erscheinen. Wenn die das Niveau halten, ist die
Gruppe gut. Western horizon war ein so großer Hit, daß es keine besonders verwegene Vorhersage ist, daß die neue EP toll wird!

Meine
beiden ersten coctail twins Konzerte fanden im Tsunami (erstes Konzert
überhaupt) und im Rahmen der c/o pop in einem Sneakerladen statt. Ich
hatte beide Male nichts von der Band gesehen und auch eingeschränkten
Sound. Diesmal war es hervorragend. Den coctail twins stand die große
Bühne im Gebäude 9 ausgezeichnet, den Liedern tat der aber vor allem der
gute Sound gut.
Ein
sehr klug gewählter Support für Esben and the Witch, den ich mir aber
auch mit einer miesen Hauptgruppe begeistert angesehen hätte!
Setlist coctail twins, Gebäude 9, Köln:
01: Big nothing
02: Perfume well
03: Sometimes the waves
04: Waiting for the birds (Dreamed)
05: Rooms made of dust
06: Western horizon
07: Ice machine
Esben and the Witch haben im September ihr drittes Album (A new nature)
veröffentlicht, das in Zusammenarbeit mit Steve Albini entstanden ist.
Mir fiel beim ersten (von wenigen)* Hören auf, daß die Platte noch um
einiges düsterer klingt als die Vorgänger. Zehn, vierzehn Minuten lange
Lieder mit krachenden Gitarren-Parts. Ob das Albinis Handschrift ist,
kann ich nicht beurteilen, es entfernt die Band aber von jeder Gefahr,
sich dem Indie-Mainstream anzubiedern.
Nach dreißig Minuten Konzert hatte das Trio vier Lieder des neuen Albums gespielt. Eine Viertelstunde später, mit The jungle
einen fünften Titel von A new nature. Danach verließen die drei Musiker
aus Brighton die Bühne, um ein paar Augenblicke später wiederzukommen
und "some old songs now" anzukündigen. Der Stil änderte sich, die Düsterkeit blieb.
Diese
kurze best-of in den Zugaben war brillant. Ich habe auch die alten
Platten der Band zu lange nicht gehört. Es stellt sich dann bei mir
immer dieses "das gibt's ja auch noch" Gefühl ein.
Das
Konzert war kurz aber hervorragend! Die Düsternis, die langen
krachenden Instrumentalpassagen des ersten Konzertteils, bei dem ich das
Gefühl hatte, die Band spielte die fünf Lieder am liebsten am Stück
ohne Pausen (wie sie es mit Dig your fingers in und No dog taten). Es war - Journalistenfloskel - ungemein intensiv und packend. Die Zugaben erledigten den Rest.
Setlist Esben and the Witch, Gebäude 9, Köln:
01: Press heavenwards
02: Dig your fingers in
03: No dog
04: Blood teachings
05: The jungle
06: Marching song (Z)
07: The fall of Glorieta Mountain (Z)
08: Smashed to pieces in the still of the night (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Esben & The Witch, Esch-sur-Alzette, 08.05.13
- Esben & The Witch, Lörrach, 02.03.13
- Esben & The Witch, Paris, 21.02.11
- Esben & The Witch, Köln, 13.02.11
- coctail twins, Köln, 23.08.14
- coctail twins, Köln, 23.03.14
* in den letzten Wochen höre ich abwechslend die Vaselines und Allo Darlin', andere haben es dagegen extrem schwer.
Konzert: Dean Wareham
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 29.07.2014
Dauer: 85 min
Zuschauer: 50 bis 60
Galaxie 500 waren oft live alles andere als gut, sagt Dean Wareham
über seine erste bekannte Band. Luna seien eine viel bessere Liveband
gewesen, egal, was man von den jeweiligen Alben gehalten habe. Ich habe
Galaxie 500 1990 auf der Loreley beim Bizarrefestival gesehen und war
vorher massiver Fan und war es auch danach. Wie genau das Konzert war,
weiß ich nicht mehr, es kann aber nicht so schlecht gewesen sein. Luna
hatte ich nie live gesehen, auch nicht das einzige Konzert im Gebäude 9
2002. Meine nächste Begegnung mit Dean Wareham
war erst 2010 beim zweiten ATP Bowlie. Belle & Sebastian waren
für das Line-Up verantwortlich und luden den Sänger ein, der damals als "Dean Wareham plays Galaxie 500"
unterwegs war. Die Belle & Sebastian Mitglieder hatten je drei
Wunschbands nennen dürfen, Dean Wareham war Stuart Murdochs erste Wahl.

Meine erste Begegnung mit meinen Lieblingsliedern nach zwanzig Jahren war wundervoll! Flowers, Strange, Tugboat, Snowstorm, Don't let our youth go to waste...
atemberaubend gut gespielt. Mir fiel erst gegen Ende des Konzertes auf,
daß Deans Frau Britta die Bassistin der Band war (als die beiden ein Dean & Britta
Stück spielten). Ich hatte nur Augen (nunja) für die Musik. Dean
Wareham mit Galaxie 500 ist live sehr viel besser, als seine alte Band
es offenbar war. Vermutlich harmonierten die drei Freunde auf der Bühne
ähnlich schlecht wie bei strittigen Entscheidungen in der Spätphase
ihrer kurzen Karriere.

Nach der guten und abwechslungsreichen Vorgruppe Die Sonne
aus Köln, über die ich in Kürze noch einmal ausgiebiger schreibe (und
die feststellte, daß bei es bei ihren Auftritten immer regne, offenbar
der Bandname schon die Sonne kompensiere - ich denke eher, daß das
schlechte Wetter an den Mitgliedern der Sonne, die früher bei Wolke
waren, liegt, war das Gebäude 9 noch erschütternd leer. Es ist
Urlaubszeit in NRW, es hagelte den ganzen Tag Unwetterwarnungen - aber
es war ein Dean Wareham Konzert! Davon gibt es leider nicht viele - und
auch künftig nicht mehr, wenn die Leute aus Trägheit zu Hause bleiben.
Die 50, 60, die da waren, erlebten ein Konzert, bei dem ich an Anfang
kurz den Eindruck hatte, daß die Band zu deutlich gesehen hatte, wie
wenige Zuschauer da waren, das sich aber nach und nach massiv steigerte
und am Ende umwerfend war.

Dean
Wareham ist zur Zeit mit einem Gitarristen (Raymond Richards), einem
Schlagzeuger, dessen Namen ich wieder nicht mitbekommen habe, und seiner
Frau Britta unterwegs. Am Anfang wirkten die Musiker auf mich eine Spur
lustlos. Beim ersten Galaxie 500 Stück (Temperature's rising von der ersten Platte), schleppte sich das Schlagzeug träge durch den Song. Bei Holding pattern,
einem der zahlreichen Solostücke - beim Indietracks in Ripley hatte das
Set am Samstag noch zumeist aus Galaxie 500 Titeln bestanden - sang
Dean anfangs stark neben dem Takt, was seine Frau am Keyboard zum Lachen
brachte. Irgendwann am Anfang nuschelte der Sänger "this was more" oder "this was no fun".
Ich hatte da nicht den Eindruck, ein ähnlich gutes Konzert wie vor drei
Tagen sehen zu können. Aber wer kann ihnen das verdenken, wenn ein
Konzert so schlecht angenommen wird.

Gottseidank
kippte es aber sehr schnell in die andere Richtung, nach Holding
pattern wurde es immer besser. Das kleine Publikum klatschte wie ein
ausgewachsenes. Man merke insbesondere bei den Galaxie 500 Liedern, wie
wenig Laufkundschaft da war, und das schien auch auf der Bühne
anzukommen. Wie bei meinem Konzert im Dezember letzten Jahres spielte
die Band (damals eine andere) auch Luna-Lieder. Das erste diesmal war Tiger Lily von der zweiten Platte Bewitched - toll! Später kam noch Lost in space. Der Großteil der Songs stammte aber von Deans Soloplatten (EP und Album). Komischerweise gefiel mir von den Liedern Love is not a roof against the rain plötzlich außerordentlich gut. Bisher zählte es (auf Platte) nicht zu meinen Lieblingen und konnte nicht gegen Stücke wie The dancer disappears, Holding pattern, Beat the devil, My eyes are blue oder Love is colder than death anstinken. Diese Liveversion wurde aber plötzlich enorm schmissig und gefiel mir richtig gut.

Nach Love is not a roof against the rain wurde es plötzlich lauter. When will you come home
hatte ein herrlich krachiges Ende, bei den Zugaben drehte der
Mischpultmann noch einmal hoch, hatte ich den Eindruck. Wenn wir schon
für zwei klatschten, konnten wir auch für zwei um die Ohren bekommen.
Letztenendes war es egal, welches Lied die Band im zweiten Teil
anstimmte, alles war hervorragend, auch Babes in the wood, das vorletzte Stück der Soloplatte - und vorletzte Lieder sind, wie ich in Deans extrem empfehlenswerter Biographie Black postcards gelernt habe, meist die schlechtesten Lieder eines Albums. Blue thunder und Tugboat waren aber natürlich die größten Knüller vor den Zugaben!
Die Zugaben begannen mit Happy & free
von der Soloplatte. Danach wechselte Britta wieder einmal die Position,
sie spielte abwechselnd Bass und Keyboard und musste bei jedem Wechsel
die Bühne überqueren, vergaß dabei grundsätzlich immer ihr Kölsch und
musste noch einmal zurück.
Ich war sicher, daß nach Fourth of July Schluß sein würde. Es kam aber ein noch würdigerer Abschluß, das wundervolle Joy Division bzw. New Order Cover Ceremony.
Es
war ein großartiges Konzert! Sind Lieblingsbands heutzutage live
schlecht, vergeht mir leicht die Lust an ihnen. Die Gefahr besteht bei
Dean Wareham nun wirklich nicht!
Setlist Dean Wareham, Gebäude 9, Köln:
01: Emanzipated hearts
02: Heartless people (Michael Holland Cover)
03: Temperature's rising (Galaxie 500)
04: The dancer disappears
05: Holding pattern
06: Tiger Lily (Luna)
07: Air
08: Love is not a roof against the rain
09: When will you come home (Galaxie 500)
10: Babes in the wood
11: Blue thunder (Galaxie 500)
12: Lost in space (Luna)
13: Tugboat (Galaxie 500)
14: Happy & free (Z)
15: Fourth of July (Galaxie 500) (Z)
16: Ceremony (Galaxie 500 / Joy Division bzw. New Order Cover) (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Dean Wareham, Indietracks, 26.07.14
- Dean Wareham, Paris, 07.12.13
- Dean Wareham plays Galaxie 500, Barcelona, 28.05.11
- Dean Wareham plays Galaxie 500, Paris, 19.02.11
- Dean Wareham plays Galaxie 500, Minehead, 11.12.10
Tourtermine:
30.07.: Privatclub, Berlin
31.07.: Off Festival, Katowice
02.08.: Lokalhelden, Augsburg
06.08.: Club Barby, Tel Aviv ABGESAGT
Konzert: Thees Uhlmann
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 09.06.2014
Dauer: 95 min
Zuschauer: ausverkauft
Wie
vor jedem großen Fußball-Turnier sind es nicht die letzten
durchwachsenen Testspiele oder die unverständlicherweise fehlende
Trainerdebatte, die mich besonders nerven, es ist diese immer gleiche
Diskussion um Lukas Podolski. Spielt die gesamte
Nationalmannschaft schlecht, schießt sich die Kritik ausschließlich auf
ihn ein, auch wenn er den Großteil des Spiels gar nicht auf dem Feld
stand. Vor einigen Monaten hatte ich erstmals Zweifel, ob der
Bundestrainer ihn überhaupt zur WM mitnehmen würde. Eine
Nichtberücksichtigung hätte meine jahrealte Vorhersage zerstört, daß
Poldi bald Rekordnationalspieler sein wird, sie hätte mir aber vor allem
jeden Spaß an der Weltmeisterschaft genommen.
Und
wie ist es dann grundsätzlich bei Turnieren? Lukas Podolski spielt groß
auf, als wäre es immer noch 2006 und die dämlichen Kritiker halten mal
ein paar Tage ihren Mund.
Mit Thees Uhlmann ist es oft genauso.*
Wenn
ich Freunden erzähle, wie gut ich dessen zweite Platte finde, wie toll
Konzert x war, kommen immer wieder spitze Kommentare. Tomte wären schon
toll gewesen und nein, gesehen habe man Thees solo nicht und die Platten
auch nicht gehört, aber das Interesse dafür sei eben auch nicht mehr
da. Wenn ich mir all das hätte einreden lassen (und ich höre in
Musikdingen sehr oft auf Freunde, die im Zweifel alle sehr viel mehr
Ahnung als ich haben), hätte ich ein wieder einmal großartiges Konzert
verpasst. Thees Uhlmann und Band spielten auf wie Poldi gegen Armenien.
Das
Konzert im Gebäude 9 (aus dem der in Hamburg lebendende Sänger längst
rausgewachsen ist), hatte eine spektakuläre Vorgeschichte. Als der Club
vor einigen Monaten akut von der Schließung bedroht war, weil ein
Stadtentwicklungsplan des Areals in Köln-Deutz (nicht Kalk, Thees!)
zwischen all dem kreativen Wohnraum keinen Platz für Kunst vorsah,
gingen unter anderem viele Künstler auf die Barrikaden. Thees Uhlmann
schrieb einen hervorragenden Text, warum Musikclubs und speziell dieser
erhaltenswert seien und was Köln ohne das Gebäude 9 verloren ginge. Ein
paar Tage später wurde das Konzert in Köln angekündigt:
"Einmal
kurz in den Tour-Plan geguckt. Festgestellt, dass wir frei haben vor
dem Auftritt im Zakk in Düsseldorf am 10.06.! Frei haben - nicht so
unser Ding. Beim Gebäude9 in Köln nachgefragt, ob da noch ein Date frei
ist - haben die gesagt 'Ja!', haben wir zurück gefragt: 'Können wir
andocken?', haben die gesagt: 'Dockt!'
Thees Uhlmann & Band deutzen am 09.06.2014 ab 20 Uhr.
Duden: 'deutzen' - 'in einem Laden spielen, in dem man unbedingt noch in
10 Jahren spielen möchte.'"
Das
Konzert war natürlich schnell ausverkauft, der letzte Kölner Auftritt
fand im E-Werk statt. Ein knallvolles Gebäude 9 im Hochsommer ist warm,
das schreckte aber niemanden ab. Als es nach der sehr guten Kölner
Vorgruppe Neufundland um kurz nach halb zehn losging, war der Club
gerammelt voll, sodaß irgendwann auch der kühlende Effekt der offenen
Tür nicht mehr stark bemerkbar war. Aber es war egal. Die 95 Minuten
rechtfertigten das. Es war mein bisher bestes Thees Uhlmann Konzert!
Man
merkte dem Sänger an, wie viel Spaß ihm der Auftritt machte. Thees hat
zwei Jahre in Köln gelebt und studiert und war oft im Gebäude 9, wie er
erzählte. Er nutzte mehrere Pausen, um über den Club zu sprechen - aber
auch über das parallel stattfindende Birlikte-Fest in der Keup-Straße.
Die Songauswahl überraschte mich, weil der Schwerpunkt eindeutig auf der ersten Platte lag. Bis auf Paris im Herbst spielte die Band alle Stücke von #1, vom Nachfolger kamen deutlich weniger Songs. Mittendrin eine sehr schöne Überraschung: Schreit den Namen meiner Mutter vom dritten Tomte-Album.
Nach drei Zugaben war die Vorgabe von anderthalb Stunden eigentlich erreicht ("Rockmusiker werden oft gefragt, wie anstrengend ihr Leben ist - ich muß 90 min am Tag arbeiten und darf dabei Bier trinken").
Aber Köln ist Fußballsstadt (mit zwei Profivereinen). Thees kam zurück
und spielte Das hier ist Fußball zum Abschluß ohne seine hervorragende
Band.
Wegen
der Vorgeschichte war es vorher schon ein besonderes Konzert. Es war
aber eben auch musikalisch besonders gut und jeden eigenen und fremden
Schweißtropfen wert. Thees kämpfte wacker mit der Hitze, die Lederjacke
blieb bis zum siebten Lied an. Erst danach kam das "Kölsch, Kippe, Lederjacke"-Shirt zum Vorschein.
Bei & Jay-Z singt uns ein Lied textete Thees eine Zeile des Raps in "hab' 99 Probleme, Köln ist keins davon"
um. Daß ihm ein Club in seiner vorübergehenden Heimat noch so am Herzen
liegt und er sich für den mit solch einem Konzert einsetzt, ist
vorbildhaft!
Setlist Thees Uhlmann, Gebäude 9, Köln:
01: Weiße Knöchel
02: Die Toten auf dem Rücksitz
03: Vom Delta bis zur Quelle
04: Lat: 53.7 Lon: 9.11667
05: Am 07. März
06: Und Jay-Z singt uns ein Lied
07: Es brennt
08: Das Mädchen von Kasse 2
09: 17 Worte
10: Schreit den Namen meiner Mutter (Tomte)
11: Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluß hinauf
12: Die Nacht war kurz (ich stehe früh auf)
13: Zugvögel
14: Römer am Ende Roms (Z)
15: Sommer in der Stadt (Z)
16: Der Fluß und das Meer (Z)
17: Das hier ist Fußball (Tomte) (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Thees Uhlmann, Stuttgart, 10.11.13
- Thees Uhlmann, Großpösna, 18.08.13
- Thees Uhlmann, Mannheim, 01.06.13
- Thees Uhlmann, Haldern, 10.08.12
- Thees Uhlmann, Scheeßel, 23.06.12
- Thees Uhlmann, Trier, 10.12.11
- Thees Uhlmann, Köln, 25.10.11
- Neufundland, Reutlingen, 27.07.13
* also nicht, daß er den Mund hält. Auch nach einer Ansage "zum nächsten Song kann ich wirklich nichts sagen" folgte ein längerer Monolog.