Konzert: The New Pornographers
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 05.12.2014
Dauer: The New Pornographers 80 min, Mini Mansions gut 45 min
Zuschauer: ca. 300



Auf Autofahrten höre ich meist Musik mit meinem alten iPod. Weil nicht nur dessen Batterie sondern auch die Software oft spinnt, stürzt das Gerät immer wieder ab. Nach dem Reset dauert es ein paar Minuten, bis er wieder da ist. Musikalisch ist der Neubeginn immer gleich: I'm not talking von A.C. Newman. Vermutlich wäre das Stück mein meistgehörtes, wenn wenigstens das Weiterleiten an last.fm klappen würde.


Auch ein anderes meiner besonders häufig in diesem Jahr gehörten Stücke hat mit dem kanadischen Musiker zu tun. War on the east coast von den New Pornographers, die Newman vor einigen Jahren mitbegründet hat, ist eines der besten Lieder 2015 (auch wenn das Jahr ja lange noch nicht vorbei ist). Geschrieben hat es allerdings nicht A.C. Newman, War on the east coast stammt von Dan Bejar (Destroyer), einem der anderen zahlreichen (Indie-) (Super-) Stars bei den New Pornographers. Das neben Destroyer vermutlich berühmteste Mitglied ist Neko Case, die auf Platten und dem nordamerikanischen Kontinent regelmäßig mitsingt, Europa-Touren der New Pronographers aber meidet. An ihrer Stelle übernimmt Carl Newmans Nichte Kathryn Calder (Immaculate Machine) alle weiblichen Gesangparts. 


"Wer und wie viele?" ist also immer die typische Frage vor einem Auftritt der Kanadier. Beim ersten Konzert der New Pornos im Gebäude 9 seit 2007* standen sieben Musiker auf der Bühne. Kathryn Calder, Dan Bejar und Carl Newman, Bassist John Collins (der u.a. mehrere Tegan and Sara Platten produziert hat und bei Destroyer mitspielt), ein Schlagzeuger, ein Keyboarder und ein weiterer (vierter? fünfter?) Gitarrist. 


Als die sieben um 21:40 Uhr begannen, hatten wir schon ein gut 45 minütiges Support-Programm der Band Mini Mansions aus Los Angeles erduldet. Mini Mansions fielen durch drei Dinge auf: 1) Kreuzfahrt-Entertainer-Outfits (der singende Schlagzeuger trug einen weißen Anzug, der Bassist einen roten - 2) eine unverschämt scheußliche Version des Blondie Evergreens Heart of glass und - 3) eine bescheidene, mannhohe Leuchtreklame mit dem Bandnamen, bei der ich mich gefragt habe, was die Fluggesellschaft wohl dafür verlangt hat, das Ding einmal um den Globus zu verschiffen. 

Musikalisch war es enorm beliebig bzw. bis auf ein Lied sogar ziemlich mies. Daß der trommelnde Sänger normalerweise der Bassist der Queens Of The Stone Age ist, änderte daran nichts. 


An Stelle der Deko setzte die Hauptgruppe dann Hits, das klügere Konzept, wie ich finde. Die Setlist des fast anderthalbstündigen Konzerts war eine souveräne Mischung einiger neuer Stücke und der Hits aller Vorgängerplatten. So macht man das eben in einer Supergroup.

Dan Bejar war höchstens bei jedem zweiten Lied auf der Bühne. Hatte er nichts zu tun, ging er nach hinten und rauchte. Es roch in jeder Destroyer-Pause nach Qualm.



Live sind die New Pornographers sehr viel rockiger als auf Platte. Erst wollte ich "lauter" schreiben, das machte aber keinen rechten Sinn. Also war auch im Gebäude 9 nichts vom "Hausfrauen-Rock" zu hören, als den mein Konzertnachbar die Musik der Band vorher bezeichnet hatte. Auch die etwas schwächeren Stücke der neuen Platte gefielen mir so deutlich besser als aus dem neurotischen iPod. 



Es war ein wirklich gutes Konzert. Beim Basket- und Football benutzen amerikanische Sportreporter gerne den Begriff Go-to-guy für einen Spieler, der immer als sichere Anspielstation des Quarterbacks oder Aufbauspielers erreichbar ist, den der also auch in großer Bedrängnis immer erreicht. Das sieht dann nicht so spektakulär aus wie ein 60 m Pass, bringt aber sicheren Erfolg. Die New Pornographers sind eine meiner Go-to-Bands. Man darf da keine Bühnenshow (oder Leuchtreklame) und kein Publikum, das nur beim neuesten heißen Scheiß erscheint, erwarten, man bekommt aber sicher ein sehr gutes Konzert geboten!

Setlist The New Pornographers, Gebäude 9, Köln:

01: Brill bruisers
02: Myriad harbour
03: Moves
04: Dancehall domine
05: War on the east coast
06: Use it
07: All the old showstoppers
08: Jackie, dressed in cobras 
09: Another drug deal of the heart
10: The laws have changed
11: Fantasy fools
12: Testament to youth in verse
13: Sweet talk, sweet talk
14: Backstairs
15: Silver Jenny Dollar
16: Champions of red wine
17: Born with a sound
18: Mass romantic

19: Ballad of a comeback kid (Z)
20: Sing me Spanish techno (Z)
21: The bleeding heart show (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
- The New Pornographers, Barcelona, 28.05.10
- The New Pornographers, Köln, 25.11.07
- The New Pornographers, Paris, 30.09.07


Konzert: Esben and the Witch (& coctail twins)
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 19.10.2014
Dauer: Esben and the Witch 65 min, coctail twins 33 min
Zuschauer: 140



Vor anderthalb Jahren spielten Esben and the Witch zum letzten Mal im Gebäude 9. Einige Freunde von mir waren da und schwärmten hinterher vom düsteren Auftritt der Briten. Ich hatte die Band zwar 2011 schon einmal im Gebäude gesehen, da hatten sie mich aber noch nicht richtig überzeugt. Trotzdem hatte mir mein Bauchgefühl im vergangenen Winter gesagt, ich solle gefälligst zu Esben and the Witch gehen, dummerweise hatte ich dies aber ignoriert und mich stattdessen für alt-j im E-Werk entschieden. Spätestens als ich im Mai 2013 Esben and the Witch in Luxemburg gesehen habe, war mir dieser Fehler bewußt.


Also war das Ticket für dieses Mal schnell gekauft. Daß dies eine gute Entscheidung war, war nicht erst am Abend selbst klar. Denn einige Tage vorher wurden die wundervollen coctail twins aus Köln als Support bekanntgegeben, ein "Doublefeature" nach meinem Geschmack!


Die coctail twins sind eine neue Band von Leuten mit Musik-Erfahrung. Daß es durchaus sinnvoll sein kann, nicht schon als Teenager seine Band zu gründen, zeigen die ausgefeilten Songs der Kölner. Sometimes the waves oder Rooms made of dust oder auch Waiting for the birds (Dreamed) sind große Knüller, die mich bei meinen beiden ersten Konzerten der coctail twins in diesem Jahr schon begeistert hatten. Aber eben auch das (offenbar neue) Stück Western horizon, bei dem Bassist Mike auf einer Pauke trommelte, war irre gut. Ich vermute, daß es auf der am 21.11. erscheinenden zweiten EP (Below Zero) veröffentlicht werden wird. Also auch der Nachschub taugt enorm viel! Als Außenstehender kann man ja nie einschätzen, wie lange die ersten Songs einer neuen Band gereift sind. Die echte Hürde sind dann die Stücke, die danach erscheinen. Wenn die das Niveau halten, ist die Gruppe gut. Western horizon war ein so großer Hit, daß es keine besonders verwegene Vorhersage ist, daß die neue EP toll wird!


Meine beiden ersten coctail twins Konzerte fanden im Tsunami (erstes Konzert überhaupt) und im Rahmen der c/o pop in einem Sneakerladen statt. Ich hatte beide Male nichts von der Band gesehen und auch eingeschränkten Sound. Diesmal war es hervorragend. Den coctail twins stand die große Bühne im Gebäude 9 ausgezeichnet, den Liedern tat der aber vor allem der gute Sound gut.


Ein sehr klug gewählter Support für Esben and the Witch, den ich mir aber auch mit einer miesen Hauptgruppe begeistert angesehen hätte!

Setlist coctail twins, Gebäude 9, Köln:

01: Big nothing
02: Perfume well
03: Sometimes the waves
04: Waiting for the birds (Dreamed)
05: Rooms made of dust
06: Western horizon
07: Ice machine


Esben and the Witch haben im September ihr drittes Album (A new nature) veröffentlicht, das in Zusammenarbeit mit Steve Albini entstanden ist. Mir fiel beim ersten (von wenigen)* Hören auf, daß die Platte noch um einiges düsterer klingt als die Vorgänger. Zehn, vierzehn Minuten lange Lieder mit krachenden Gitarren-Parts. Ob das Albinis Handschrift ist, kann ich nicht beurteilen, es entfernt die Band aber von jeder Gefahr, sich dem Indie-Mainstream anzubiedern.


Nach dreißig Minuten Konzert hatte das Trio vier Lieder des neuen Albums gespielt. Eine Viertelstunde später, mit The jungle einen fünften Titel von A new nature. Danach verließen die drei Musiker aus Brighton die Bühne, um ein paar Augenblicke später wiederzukommen und "some old songs now" anzukündigen. Der Stil änderte sich, die Düsterkeit blieb. 

Diese kurze best-of in den Zugaben war brillant. Ich habe auch die alten Platten der Band zu lange nicht gehört. Es stellt sich dann bei mir immer dieses "das gibt's ja auch noch" Gefühl ein. 

Das Konzert war kurz aber hervorragend! Die Düsternis, die langen krachenden Instrumentalpassagen des ersten Konzertteils, bei dem ich das Gefühl hatte, die Band spielte die fünf Lieder am liebsten am Stück ohne Pausen (wie sie es mit Dig your fingers in und No dog taten). Es war - Journalistenfloskel - ungemein intensiv und packend. Die Zugaben erledigten den Rest. 

Setlist Esben and the Witch, Gebäude 9, Köln:

01: Press heavenwards
02: Dig your fingers in
03: No dog
04: Blood teachings
05: The jungle

06: Marching song (Z)
07: The fall of Glorieta Mountain (Z)
08: Smashed to pieces in the still of the night (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
- Esben & The Witch, Esch-sur-Alzette, 08.05.13
- Esben & The Witch, Lörrach, 02.03.13
- Esben & The Witch, Paris, 21.02.11
- Esben & The Witch, Köln, 13.02.11
- coctail twins, Köln, 23.08.14
- coctail twins, Köln, 23.03.14


* in den letzten Wochen höre ich abwechslend die Vaselines und Allo Darlin', andere haben es dagegen extrem schwer.


Konzert: Dean Wareham
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 29.07.2014
Dauer: 85 min
Zuschauer: 50 bis 60




Galaxie 500 waren oft live alles andere als gut, sagt Dean Wareham über seine erste bekannte Band. Luna seien eine viel bessere Liveband gewesen, egal, was man von den jeweiligen Alben gehalten habe. Ich habe Galaxie 500 1990 auf der Loreley beim Bizarrefestival gesehen und war vorher massiver Fan und war es auch danach. Wie genau das Konzert war, weiß ich nicht mehr, es kann aber nicht so schlecht gewesen sein. Luna hatte ich nie live gesehen, auch nicht das einzige Konzert im Gebäude 9 2002. Meine nächste Begegnung mit Dean Wareham war erst 2010 beim zweiten ATP Bowlie. Belle & Sebastian waren für das Line-Up verantwortlich und luden den Sänger ein, der damals als "Dean Wareham plays Galaxie 500" unterwegs war. Die Belle & Sebastian Mitglieder hatten je drei Wunschbands nennen dürfen, Dean Wareham war Stuart Murdochs erste Wahl.


Meine erste Begegnung mit meinen Lieblingsliedern nach zwanzig Jahren war wundervoll! Flowers, Strange, Tugboat, Snowstorm, Don't let our youth go to waste... atemberaubend gut gespielt. Mir fiel erst gegen Ende des Konzertes auf, daß Deans Frau Britta die Bassistin der Band war (als die beiden ein Dean & Britta Stück spielten). Ich hatte nur Augen (nunja) für die Musik. Dean Wareham mit Galaxie 500 ist live sehr viel besser, als seine alte Band es offenbar war. Vermutlich harmonierten die drei Freunde auf der Bühne ähnlich schlecht wie bei strittigen Entscheidungen in der Spätphase ihrer kurzen Karriere. 

Nach der guten und abwechslungsreichen Vorgruppe Die Sonne aus Köln, über die ich in Kürze noch einmal ausgiebiger schreibe (und die feststellte, daß bei es bei ihren Auftritten immer regne, offenbar der Bandname schon die Sonne kompensiere - ich denke eher, daß das schlechte Wetter an den Mitgliedern der Sonne, die früher bei Wolke waren, liegt, war das Gebäude 9 noch erschütternd leer. Es ist Urlaubszeit in NRW, es hagelte den ganzen Tag Unwetterwarnungen - aber es war ein Dean Wareham Konzert! Davon gibt es leider nicht viele - und auch künftig nicht mehr, wenn die Leute aus Trägheit zu Hause bleiben. Die 50, 60, die da waren, erlebten ein Konzert, bei dem ich an Anfang kurz den Eindruck hatte, daß die Band zu deutlich gesehen hatte, wie wenige Zuschauer da waren, das sich aber nach und nach massiv steigerte und am Ende umwerfend war. 


Dean Wareham ist zur Zeit mit einem Gitarristen (Raymond Richards), einem Schlagzeuger, dessen Namen ich wieder nicht mitbekommen habe, und seiner Frau Britta unterwegs. Am Anfang wirkten die Musiker auf mich eine Spur lustlos. Beim ersten Galaxie 500 Stück (Temperature's rising von der ersten Platte), schleppte sich das Schlagzeug träge durch den Song. Bei Holding pattern, einem der zahlreichen Solostücke - beim Indietracks in Ripley hatte das Set am Samstag noch zumeist aus Galaxie 500 Titeln bestanden - sang Dean anfangs stark neben dem Takt, was seine Frau am Keyboard zum Lachen brachte. Irgendwann am Anfang nuschelte der Sänger "this was more" oder "this was no fun". Ich hatte da nicht den Eindruck, ein ähnlich gutes Konzert wie vor drei Tagen sehen zu können. Aber wer kann ihnen das verdenken, wenn ein Konzert so schlecht angenommen wird. 



Gottseidank kippte es aber sehr schnell in die andere Richtung, nach Holding pattern wurde es immer besser. Das kleine Publikum klatschte wie ein ausgewachsenes. Man merke insbesondere bei den Galaxie 500 Liedern, wie wenig Laufkundschaft da war, und das schien auch auf der Bühne anzukommen. Wie bei meinem Konzert im Dezember letzten Jahres spielte die Band (damals eine andere) auch Luna-Lieder. Das erste diesmal war Tiger Lily von der zweiten Platte Bewitched - toll! Später kam noch Lost in space. Der Großteil der Songs stammte aber von Deans Soloplatten (EP und Album). Komischerweise gefiel mir von den Liedern Love is not a roof against the rain plötzlich außerordentlich gut. Bisher zählte es (auf Platte) nicht zu meinen Lieblingen und konnte nicht gegen Stücke wie The dancer disappears, Holding pattern, Beat the devil, My eyes are blue oder Love is colder than death anstinken. Diese Liveversion wurde aber plötzlich enorm schmissig und gefiel mir richtig gut. 


Nach Love is not a roof against the rain wurde es plötzlich lauter. When will you come home hatte ein herrlich krachiges Ende, bei den Zugaben drehte der Mischpultmann noch einmal hoch, hatte ich den Eindruck. Wenn wir schon für zwei klatschten, konnten wir auch für zwei um die Ohren bekommen. Letztenendes war es egal, welches Lied die Band im zweiten Teil anstimmte, alles war hervorragend, auch Babes in the wood, das vorletzte Stück der Soloplatte - und vorletzte Lieder sind, wie ich in Deans extrem empfehlenswerter Biographie Black postcards gelernt habe, meist die schlechtesten Lieder eines Albums. Blue thunder und Tugboat waren aber natürlich die größten Knüller vor den Zugaben!

Die Zugaben begannen mit Happy & free von der Soloplatte. Danach wechselte Britta wieder einmal die Position, sie spielte abwechselnd Bass und Keyboard und musste bei jedem Wechsel die Bühne überqueren, vergaß dabei grundsätzlich immer ihr Kölsch und musste noch einmal zurück. 

Ich war sicher, daß nach Fourth of July Schluß sein würde. Es kam aber ein noch würdigerer Abschluß, das wundervolle Joy Division bzw. New Order Cover Ceremony.  

Es war ein großartiges Konzert! Sind Lieblingsbands heutzutage live schlecht, vergeht mir leicht die Lust an ihnen. Die Gefahr besteht bei Dean Wareham nun wirklich nicht!

Setlist Dean Wareham, Gebäude 9, Köln:

01: Emanzipated hearts
02: Heartless people (Michael Holland Cover)
03: Temperature's rising (Galaxie 500)
04: The dancer disappears
05: Holding pattern
06: Tiger Lily (Luna)
07: Air
08: Love is not a roof against the rain
09: When will you come home (Galaxie 500)
10: Babes in the wood
11: Blue thunder (Galaxie 500)
12: Lost in space (Luna)
13: Tugboat (Galaxie 500)

14: Happy & free (Z)
15: Fourth of July (Galaxie 500) (Z)
16: Ceremony (Galaxie 500 / Joy Division bzw. New Order Cover) (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
- Dean Wareham, Indietracks, 26.07.14
- Dean Wareham, Paris, 07.12.13
- Dean Wareham plays Galaxie 500, Barcelona, 28.05.11
- Dean Wareham plays Galaxie 500, Paris, 19.02.11
- Dean Wareham plays Galaxie 500, Minehead, 11.12.10

Tourtermine:

30.07.: Privatclub, Berlin 
31.07.: Off Festival, Katowice 
02.08.: Lokalhelden, Augsburg 
06.08.: Club Barby, Tel Aviv ABGESAGT



 


Konzert: Thees Uhlmann
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 09.06.2014
Dauer: 95 min
Zuschauer: ausverkauft



Wie vor jedem großen Fußball-Turnier sind es nicht die letzten durchwachsenen Testspiele oder die unverständlicherweise fehlende Trainerdebatte, die mich besonders nerven, es ist diese immer gleiche Diskussion um Lukas Podolski. Spielt die gesamte Nationalmannschaft schlecht, schießt sich die Kritik ausschließlich auf ihn ein, auch wenn er den Großteil des Spiels gar nicht auf dem Feld stand. Vor einigen Monaten hatte ich erstmals Zweifel, ob der Bundestrainer ihn überhaupt zur WM mitnehmen würde. Eine Nichtberücksichtigung hätte meine jahrealte Vorhersage zerstört, daß Poldi bald Rekordnationalspieler sein wird, sie hätte mir aber vor allem jeden Spaß an der Weltmeisterschaft genommen. 

Und wie ist es dann grundsätzlich bei Turnieren? Lukas Podolski spielt groß auf, als wäre es immer noch 2006 und die dämlichen Kritiker halten mal ein paar Tage ihren Mund.

Mit Thees Uhlmann ist es oft genauso.*

Wenn ich Freunden erzähle, wie gut ich dessen zweite Platte finde, wie toll Konzert x war, kommen immer wieder spitze Kommentare. Tomte wären schon toll gewesen und nein, gesehen habe man Thees solo nicht und die Platten auch nicht gehört, aber das Interesse dafür sei eben auch nicht mehr da. Wenn ich mir all das hätte einreden lassen (und ich höre in Musikdingen sehr oft auf Freunde, die im Zweifel alle sehr viel mehr Ahnung als ich haben), hätte ich ein wieder einmal großartiges Konzert verpasst. Thees Uhlmann und Band spielten auf wie Poldi gegen Armenien.

Das Konzert im Gebäude 9 (aus dem der in Hamburg lebendende Sänger längst rausgewachsen ist), hatte eine spektakuläre Vorgeschichte. Als der Club vor einigen Monaten akut von der Schließung bedroht war, weil ein Stadtentwicklungsplan des Areals in Köln-Deutz (nicht Kalk, Thees!) zwischen all dem kreativen Wohnraum keinen Platz für Kunst vorsah, gingen unter anderem viele Künstler auf die Barrikaden. Thees Uhlmann schrieb einen hervorragenden Text, warum Musikclubs und speziell dieser erhaltenswert seien und was Köln ohne das Gebäude 9 verloren ginge. Ein paar Tage später wurde das Konzert in Köln angekündigt:

"Einmal kurz in den Tour-Plan geguckt. Festgestellt, dass wir frei haben vor dem Auftritt im Zakk in Düsseldorf am 10.06.! Frei haben - nicht so unser Ding. Beim Gebäude9 in Köln nachgefragt, ob da noch ein Date frei ist - haben die gesagt 'Ja!', haben wir zurück gefragt: 'Können wir andocken?', haben die gesagt: 'Dockt!' Thees Uhlmann & Band deutzen am 09.06.2014 ab 20 Uhr. Duden: 'deutzen' - 'in einem Laden spielen, in dem man unbedingt noch in 10 Jahren spielen möchte.'"

Das Konzert war natürlich schnell ausverkauft, der letzte Kölner Auftritt fand im E-Werk statt. Ein knallvolles Gebäude 9 im Hochsommer ist warm, das schreckte aber niemanden ab. Als es nach der sehr guten Kölner Vorgruppe Neufundland um kurz nach halb zehn losging, war der Club gerammelt voll, sodaß irgendwann auch der kühlende Effekt der offenen Tür nicht mehr stark bemerkbar war. Aber es war egal. Die 95 Minuten rechtfertigten das. Es war mein bisher bestes Thees Uhlmann  Konzert!

Man merkte dem Sänger an, wie viel Spaß ihm der Auftritt machte. Thees hat zwei Jahre in Köln gelebt und studiert und war oft im Gebäude 9, wie er erzählte. Er nutzte mehrere Pausen, um über den Club zu sprechen - aber auch über das parallel stattfindende Birlikte-Fest in der Keup-Straße.

Die Songauswahl überraschte mich, weil der Schwerpunkt eindeutig auf der ersten Platte lag. Bis auf Paris im Herbst spielte die Band alle Stücke von #1, vom Nachfolger kamen deutlich weniger Songs. Mittendrin eine sehr schöne Überraschung: Schreit den Namen meiner Mutter vom dritten Tomte-Album.

Nach drei Zugaben war die Vorgabe von anderthalb Stunden eigentlich erreicht ("Rockmusiker werden oft gefragt, wie anstrengend ihr Leben ist - ich muß 90 min am Tag arbeiten und darf dabei Bier trinken"). Aber Köln ist Fußballsstadt (mit zwei Profivereinen). Thees kam zurück und spielte Das hier ist Fußball zum Abschluß ohne seine hervorragende Band.

Wegen der Vorgeschichte war es vorher schon ein besonderes Konzert. Es war aber eben auch musikalisch besonders gut und jeden eigenen und fremden Schweißtropfen wert. Thees kämpfte wacker mit der Hitze, die Lederjacke blieb bis zum siebten Lied an. Erst danach kam das "Kölsch, Kippe, Lederjacke"-Shirt zum Vorschein.

Bei & Jay-Z singt uns ein Lied textete Thees eine Zeile des Raps in "hab' 99 Probleme, Köln ist keins davon" um. Daß ihm ein Club in seiner vorübergehenden Heimat noch so am Herzen liegt und er sich für den mit solch einem Konzert einsetzt, ist vorbildhaft!

Setlist Thees Uhlmann, Gebäude 9, Köln:

01: Weiße Knöchel
02: Die Toten auf dem Rücksitz
03: Vom Delta bis zur Quelle
04: Lat: 53.7 Lon: 9.11667
05: Am 07. März
06: Und Jay-Z singt uns ein Lied
07: Es brennt
08: Das Mädchen von Kasse 2
09: 17 Worte
10: Schreit den Namen meiner Mutter (Tomte)
11: Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluß hinauf
12: Die Nacht war kurz (ich stehe früh auf)
13: Zugvögel

14: Römer am Ende Roms (Z)
15: Sommer in der Stadt (Z)
16: Der Fluß und das Meer (Z)

17: Das hier ist Fußball (Tomte) (Z)

Links: 

- aus unserem Archiv:
- Thees Uhlmann, Stuttgart, 10.11.13
- Thees Uhlmann, Großpösna, 18.08.13
- Thees Uhlmann, Mannheim, 01.06.13
- Thees Uhlmann, Haldern, 10.08.12
- Thees Uhlmann, Scheeßel, 23.06.12
- Thees Uhlmann, Trier, 10.12.11
- Thees Uhlmann, Köln, 25.10.11
- Neufundland, Reutlingen, 27.07.13


* also nicht, daß er den Mund hält. Auch nach einer Ansage "zum nächsten Song kann ich wirklich nichts sagen" folgte ein längerer Monolog.